Thursday, May 1, 2008

Dichte, zornig grollende Wolken ziehen zusammen, in einer Stunde wäre aufgrund der überfluteten Strassen normalerweise der Verkehr lahmgelegt; in Costa Rica hat die Regenzeit begonnen. Doch heute steht stattdessen die Zeit still und die Strassen sind leer. Es ist der erste Mai, die meisten verbringen den Feiertag heute mit ihren Familien, obgleich Arbeiter und Kleinbauern in diesem Land Grund genug hätten um auf die Strasse zu gehen.


Auch ich nutze den freien Tag, um die Füsse hochzulegen, ich sitze mit meinen Mitbewohnern José Miguel, Elena, Maria und Sanni in userem geräumigen Wohnzimmer und lausche dem Regen, der sich unentwegt in den Vorhof stürzt.
Es bleiben einige Examen zu korrigieren und die Unterrichtsstunden der kommenden Tage vorzubereiten. 6 Stunden am Freitag und 12 Stunden am Samstag, nach denen ich gewöhnlich in meine Hängematte falle und vor Sonntag morgen nicht mehr aufwache.

36 Stunden arbeite ich inzwischen im "Instituto Latinoamericano de Idiomas" als Deutsch- und Englischlehrer.
Gekündigt habe ich bereits und in zwei Wochen befinde ich mich höchstwahrscheinlich schon in Panama. Sicherlich werde ich meine Mitbewohner, die frisch gewonnenden Freunde und einiger meiner Schueler vermissen, doch ebenso freue ich mich darauf endlich weiterzureisen, den Arbeitsalltag und die "eigenen" vier Wände hinter mir zu lassen. Dinge, an die ich mich nach langem Reisen nicht mehr gewöhnen kann, obwohl ich sie vor über 2 Monaten noch herbeisehnte, als der Capitán Chris und mich der Stadt überliess...



Dunkle Fassaden, kühler Wind, Autos, die sich in den Gassen verirren, uns gelegentlich passieren und mit ihren Scheinwerfern blenden.
Da standen wir also, in tiefster Nacht und in einer fremden Stadt, die uns still beobachtete.
Meine Finger tasteten am leeren Magen, kratzten dann am grübelnden Kopf und rieben schliesslich die müden Augen, welche am Strassenende einige Bäume ausmachten, die sich später als Teil der Parkes "la Sabana" herausstellten. Im Park stiessen wir weder auf den erhofften gemütlichen Schlafplatz noch auf genügend Feuerholz für das Abendmahl.

Wir stellten uns also wieder an den "Paseo de Colón" gen Zentrum. Ein Streifenwagen der Polizei nahm uns mit und setzte uns vor dem Busterminal ab, welches rund um die Uhr geöffnet ist.

Die harten Plastiksitze und unsere leeren Mägen liessen uns zunåchst keinen Schlaf finden, doch zehn Minuten und einen meiner Geistesblitze später verschlangen wir gierig unser Rührei, welches wir auf eher unkonventionelle Weise in der Mikrowelle eines Ladenbesitzers zubereitet hatten.

In der Morgendaemmerung haette man an unseren Augenringen wohl Kleiderbuegel aufhaengen koennen und Chris´Umhaengetasche, an der er schon einige Wochen gestrickt hatte, war auf einmal komplett. Wir waren also sehr gluecklich, die naechsten zwei Tage beim Couchsurfer Howard verbringen zu koennen.


Nun sassan wir -endlich ausgeschlafen- in der Avenida Principal und die Sonne schien uns verschwoererisch ins Gesicht ohne uns zu verraten, dass sich dieser strahlende Tag sobald in eine der laengsten Naechte unserer Leben verwandeln wuerde.

Ich hatte Chris von meinem Einfall ueberzeugen koennen ein Schild zu malen, um auf diesem Wege eine Unterkunft zu erbeten. Nun passierten fuer etwa eine halbe Stunde all diese Gesichter, die meist anfangs die Stirn runzelten und schliesslich entweder breit grinsten oder den Kopf schuettelten als die das Schild lasen. Geschrieben stand "Dos viajeros buscan alojamiento - podemos cocinar" - "Zwei Reisende suchen Unterkunft - wir koennen kochen".

Eines dieser Gesicheter tauchte nach 2 Minuten ein zweites Mal auf und naeherte sich langsam...


Vor uns steht ein fremder Mann mittleren Alters mit seltsam funkelden Augen und einer nervoesen Stimme. "Seid ihr gute Leute?".

Der Fremde erlaeutert uns, dass er uns einen Schlafplatz bei seiner Mutter verschaffen koenne. Wir folgen ihm. Im Bus fuehrt er aus, dass er vorher natuerlich seine Mutter fragen muesse und diese eventuell Einwaende habe. Insgeheim wissen wir in diesem Moment schon, dass wir aller Vorraussicht nach in kurzer Zeit wieder mit dem Schild im Zentrum sitzen werden. Seine unsichere Stimme mit der dezenten Alkoholfahne verraet uns das, doch der Fremde hat ein gutes Herz, das merkt man ihm an.

Schon bevor wir die Tuerschwelle erreichen bruellt uns seine Mutter oder Schwester (Der Fremde sagt, es sei seine Schwester, sie selbst nennt ihn ihren Sohn) entgegen: "Hier habt ihr nichts verloren, es tut mir leid, aber verschwindet hier". Der Fremde zerrt uns denoch in den Wohnraum und verschwindet kurz in der Kueche. Der Wohnraum ist geraeumig und gut ausgestattet, besonders fuer dieses eher arme Viertel, ich frage mich fuer einen Augenblick, warum gerade diese Familie so zerbrochen ist und sich permanent anbruellt. Im selben Moment erscheint der Fremde wieder im Wohnraum, von den Mundwinkeln und vom tropfenden Kinn erreicht uns der Geruch starken Alkohols...




Ein paar Jugendliche nahmen uns zurueck ins Zentrum und wir sassen schweigend da, ich faltete die Telefonnummer, die uns der Fremde hinterliess in der Hand. Er hatte ein gutes Herz, das merkte man ihm an, doch durch seine Sucht vertraute ihm nichteinmal seine eigene Familie.

Noch bei Abenddaemmerug sassen wir da mit unserem Schild, es wurde Nacht und ein kuehler Wind blies.




Eine elegante gekleidete Dame marschiert aus dem Teatro Pincipal, erblickt uns und kommt auf uns zu. Falls wir bis um 11 Uhr nachts nichts faenden, koennten wir sie anrufen und die Nacht in ihrer Wohnung verbringen.

Als sie in der Nacht verschwindet, spricht uns ein Jugendlicher an, der schon seit einiger Zeit neben uns gesessen hat. "Ich heisse Danni", stellt er sich uns vor "ich habe euch nachmittags mit dem Schild im Zentrum gesehen". Danni ist einer der vielen Immigranten aus Nicaragua. Seine Familie wohnt in Limón, an der Karibikkueste und arbeitet in den Bananenplantagen. Am liebsten wuerde er seinen Schulabschluss machen und studieren, doch sein Vater ist inzwischen zu alt zum arbeiten und so muss er Geld fuer seine Familie verdienen. Er hat seit 2 Tagen nicht geschlafen.

Um 11 rufe ich die elegante Dame an. Eine Maennerstimme antwortet und macht es sehr kurz: Seine Frau schliefe schon und er wisse von nichts.


Nun waren wir also genauso weit wie vorher. Wir nahmen Danni mit uns, suchten ein paar Stadtparks ab und sprachen mit unzaehligen Parkplatzwaechter, die uns stets erklaerten, dass ihr Boss ihnen verboten haette, Fremden den Zugang zu gewaehren. Beinahe hatten wir die Hoffnung verloren als wir uns dem letzten Plarkplatz naeherten...




Der Waerter mustert uns skeptisch und sagt schliesslich: "Ihr koennt hier bis 5 Uhr morgens bleiben, dann kommt mein Boss". Er selbst kommt aus El Salvador, ist waehrend des Buergerkriegs gefluechtet und grinst "Ich war selbst in eurer Situation".


Chris und ich schwiegen, wir wussten, dass er niemals in unserer Situation gewesen war, sondern in der von Danni. Fuer uns war all dies kein bitterer Ernst und trotzdem waren wir froh Zeugen zu werden von dieser warmen Geste und der Empathie zwischen Personen, die die Welt einmal aus der selben Perspektive sahen: von unten. Auch waren wir gluecklich, dass wir Danni einen Schlafplatz gefunden hatten. Kurz vor der Morgendaemmerung wachten wir auf und Danni verabschiedete sich von uns. Er haette die Adresse einer Kirche bekommen, die ihm weiterhelfen wuerde, wir koennten ihn vor dem Teatro Nacional wiedertreffen. Ich habe ihn bis heute nicht wiedergesehen.


Schliesslich hatten wir bei Andres und Mario fuer eine Woche eine Unterkunft gefunden und machten uns fleissig auf die Suche nach Arbeit. In unsere besten Schalen geworfen, klapperten wir Hotels, Bars und Sprachschulen ab, verteilten Bewerbungen. Chris gab schnell auf und fasste zu etwa diesem Zeitpunkt den Plan, bald nach Kanada zurueckzukehren und sein Philisophie-Studium fortzusetzen, um spaeter weiterzureisen.



Ich errinnerte mich an eine Sprachschule im Zentrum San Josés, in der ich einmal das WC aufgesucht hatte und daher schliesslich schon einen wichtigen Kontakt geknuepft hatte. Obwohl Chris mich fuer verrueckt erklaerte, gab mir diese Schule sogleich einen Job als Deutsch- und Englischlehrer. Noch am naechsten Morgen sollte ich meine erste Klasse unterrichten.

Nur hatten wir zu diesem Zeitpunkt wieder einmal keine Unterkunft fuer die Nacht. Wir hatten uns mit Christopher, einem weiteren lokalen Couchsurfer, verabredet.


Christopjer ist eine kleine, duerre Gestallt und wirft durch seine dicken Brillenglaeser einen derart philosophischen Blick, dass er sich diesen patentieren lassen sollte. Er selbst hat vor einigen Tagen seine Wohnung verlassen, in der nun seine Ex-Freundin wohnt. Aber er habe schon eine Idee, wo wir die Nacht verbringen koennen. Gemeinsam steigen wir in einen Bus und Christopher erzaehlt uns von seinen Erfahrungen in Schweden, wo er 2 Jahre lang das International Word College besuchte. Ich habe bereits die Zeit vergessen, doch wir muessen wohl ueber eine Stunde gefahren sein, es ist bereits finstere Nacht und als wir aussteigen und auf einem kleinen Pfad in den tiefsten Wald eintauchen, faellt mir ein, dass ich am Folgetag um 8 Uhr morgens meine erste Englischklasse gebe.



Schliesslich verbrachten wir zwei Tage in dem Haus eines Kuenstlerehepaars, die ein Restaurant im Wald besitzen und deren Sohn ein Freund Chrisophers ist. Wir wurden in die Kunst des Brotbackens eingeweiht und ich erreichte zwar hundemuede aber puenklich die Sprachschule. Chrisopher mietete sich in eine kleine Huette im Garten der Familie ein, zu der wir ihn wir ihn wie einen Blinden am Stock fuehren mussten, denn Christopher sieht schon in der Abenddaemmerung nicht mehr die eigene Hand vor Augen. Ausserdem fuehrte Christopher uns hier seinen ganzen Stolz vor: Seife. Er hatte sich ein privates Laboratorium zusammengebastelt und stellt nun im Eigenverfahren Naturseife her, die nun ueber eine Agentin fleissig Abnehmer -vor allem in den USA- fand. Christopher war die ueberaus sympathische mehr als typische Verinnerlichung der Rolle des verrueckten Wissenschaflters.


Chris traf Jenna, eine Bekannte vom Rainbowgathering und verschwand mit ihr gen Karibikkueste, waehrend ich meine inzwischen 12 Stunden Englischunterricht pro Woche gab. Ueber den Peruaner Giancarlos, einem Couchsurfer, und dessen chilenische Mitbewohnerin Pamela, lernte ich die spanischen Austauschstudenten Elena und Jose-Miguel kennen und mietete mich fuer den Rest des Monats in ein Zimmer ihres Studentenhaushalts ein, welchen wir mit der Finnin Sanni und dem Costa Ricaner Mauricio teilten.



Es kamen weitere Englisch- und Deutschkurse dazu und letztendlich fand ich mich vor einem ungeahnten Haufen Arbeit wieder, denn ich merkte schnell, dass ich in dieser Schule auch selbst Examen vorbereiten, korrigieren und Schueler bewerten musste.

Eines Tages oeffnete sich der Fahrstuhl und ich blickte Chris entgegen, der mitsamt Reisegepaeckt in meiner Schule auf mich gewartet hatte. Wir teilten uns also das Zimmer und die Kosten und schon waren wir 6 im Haushalt. Ueber Ostern hatte ich ein verlaengertes Wochenende und ich entschied mich sehr spontan selbst fuer ein paar Tage die Karbikkueste Costa Ricas kennenzulernen.


Chris hatte mir von einem sehr ruhigen, menschenleeren Strand erzaehlt, an dem er ein paar Tage uebernachtet hatte und tatsaechlich erreichte ich selbigen nach seiner simplen Beschreibung: "Steig einfach aus, wenn du die bunten Palmen siehst". An die Kueste zu trampen war ein Kinderspiel und dort angekommen, begann ich damit mein Nachlager zu errichten. Zwei Jugendliche naeherten sich mit einer Flasche Guaro, dem starken lokalen Schnaps, der aus Zuckerrohr gewonnen wird und luden mich ein, die naechsten Tage mit ihrer Familie zu verbringen. Diese bewohnte eines der zwei Haeuser an diesem einsamen Strandabschnitt und verbrachte Ostern hauptsaechlich damit sich hemmungslos zu betrinken. Ich tat es ihnen nach, war aber nicht sehr begeistert von dem Vorhaben eines der Jugendlichen, sich in seinem mehr als angeheiterten Zustand ins Auto zu setzen und seinen 2 jaehrigen Sohn aus Puerto Limón abzuholen. "Keine Angst, mein Vater ist der Capitán der Verkehrspolizei". Ich hatte schon einen anderen Capitán kennengelernt und wusste ziemlich genau, was er meinte. Nachdem ich ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen konnte, setzte ich mich ins Auto, um seinen Fahrstil ein wenig unter Kontrolle zu halten und es folgte die furchtbarste Autofahrt meines Lebens.



Am letzten Urlaubstag kletterte ich auf einige Palmen, lud meinen Rucksack voller Kokosnuesse und verabschiedete mich. Auf dem Rueckweg nahm mich ein LKW Fahrer mit, der nicht aufhoeren konnte, ueber die Immigranten aus Kolumbien und Nicaragua zu meckern. Es war nicht das erste Mal, dass ich hier in Costa Rica, dem wohlhabensten Land Zentralamerikas, die von Voruteilen gespickten Anekdoten ueber die Mitbewohner aus den Nachbarlaendern anhoerte. Ich musste an Danni denken, dem lebendigen Beweis, dass diese Vorurteile falsch waren.


Als ich in San José ankam war Chris verschwunden. Ian, sein Kumpel aus Kanada, hatte ihn besucht und gemeinsam waren sie mit einem Umweg ueber Panama bereits auf dem Rueckweg nach Kanada.

Ich war zwei Monate mit Chris gereist und dieser Zeitabschnitt stellte die bislang intensivste Reiseerfahrung da. Ich musste zurueckdenken an Guatemala, wo wir einmal versuchten eine Kuh von unseren Rucksaecken zu vertreiben, sich die Kuh als Stier entpuppte und uns dieser von der Wiese vertrieb. Oder der Lastwagen voller Orangen, der so schnell ueber die ungeteerte Lansstrasse fuhr, dass wir uns mit den herumwirbelnden Orangen polstern mussten, um die Fahrt unversehrt zu ueberstehen und schliesslich zwei riesige, unbefestigte Autoreifen auf uns zugesprungen kamen. Chris und ich hatten alles geschehene stets in einem Dialog reflektiert, der meist in hoehere Philosophie abschweifte.


Ich zog nun wieder in meine Haengematte im Vorgarten, da Maria, eine weitere spanische Mitbewohnerin, nun wieder das Zimmer bewohnte.

In der Schule freundete ich mich schnell mit meinen Schuelern an, der Unterricht machte Spass und in einigen Gruppen sang ich mit den Schuelern Songs von den Red Hot Chili Peppers, Bob Marley und den Beatles.


Mit der Organisation der Schule haette manch einer wohl seine Probleme, doch mir war es inzwischen schon sympathisch geworden, dass Mario, der Direktor mir jeden zweiten Tag in letzter Minute eine Vertretungsstunde gab und dass die Administration meinen Zahltag oft 2 Wochen lanf aufschob. Bezahlt wurde ich entweder in Bargeld oder Checks.


Die Freizeit verbrachte ich mit meinen Mitbewohnern und einigen Freunden, wie etwa Giancarlos, mit dem ich mich jeden Sonntag traf, um die mexikanische Fernsehserie "Capadocia" zu sehen, die auf HBO ausgestrahlt wird und in der Oscar, mein Freund aus Mexico City, in einer Staffel eine der Hauptrollen spielt.
Mit Zivka, einer tollwuetig sympathischen deutschen Austauschstudentin, Pamela, Ifraim , Monje und vielen

San José ist keine Metropole, auf mich wirkte die Stadt wie ein uebergrosses Dorf. Viele der kolonialen Bauten wurden abgerissen und die haesslichen Neubauten sind jetzt voller Parolen, welche von dem Referendium zeugen, welches Costa Ricas Mitgliedschaft im neuen Freihandelsabkommen mit den USA und dem Rest Zentralamerikas bestimmte.
Die Angestellten befuerchten nun eine Privatisierung der grossen Staatskonzerne, der Patentschutz von Saatgut und die weitere Oeffnung fuer nordamerikanische Agrarprodukte laesst die Kleinbauern um ihre Existenz bangen.

13.05.2008
Am Samstag war mein letzter Arbeitstag, am gestrigen Abend bezahlte mir die Schule meinen letzten Lohn und entliess mich in die Freiheit.
Morgen frueh breche ich nach Panama auf und begebe mich auf die Suche nach einem Schiff, auf dem ich arbeiten und so nach Suedamerika gelangen kann. So beginnt ein neuer Abschnitt meiner Reise.

Thursday, March 6, 2008

Von Grenzen und anderem Irrsinn

Die Abenddaemmerung rueckt naeher und wir stehen immernoch auf dem Haltestreifen der Landstrasse, auf der wir soeben die Grenze nach Costa Rica ueberquerten. Mit dem Daumen im Aether ruehrend, mal Gitarre zupfend, mal Bananen verschlingend, versuchen wir jedes Fahrzeug fuer unsere Zwecke zu gewinnen. Dabei haben wir bereits eine beinahe fatalistische Kontinuitaet des Geschehens auf unserer Seite, welche uns sicher sein laesst: Auch an diesem Tag wird sich wieder eines dieser Wunder ereignen, das uns ein kostenloses Dach ueber dem Kopf, Platz fuer unsere Haengematten, Moeglichkeit zu kochen, liebenswerte interessante Menschen und jede Menge interessanter Konversationen beschert.Moeglicherweise passiert es gerade aufgrund dieser verwoehnten Naivitaet heute etwas unbequemer als gewohnt, obgleich zu Beginn alles zo vielversprechend erscheint.

Den Trampspot als unguenstig erklaert und aufgegeben, passieren wir eine der rustikalen Grenz-Bars, aus der uns eine bierschluerfende Gestalt heranwinkt und auf ein oder doch zwei "Imperial" einlaedt. Auch hier treffen wir wieder auf einen der vielen autodidaktischen Musiker, die sich in ganz Zentralamerika haeufen und so spielen wir im Wechsel unser europaeisches und Lateinamerikanisches Repertoire herunter. Der sympathische 50-jaehrige stellt sich spaeter als "Capitán" der Grenzpolizei heraus, doch dass wir beim gemeinsamen Bier noch von unseren Plaenen -ohne Papiere in San José zu arbeiten- daherredeten, macht garnichts aus, denn -so betont er- Capitán ist er nur waehrend der 10-taegigen Arbeitsschicht. "In meiner Freizeit bin ich einfach nur Milton.", stellt er sich uns vor.

Wie ernst er es mit seiner Doppelrollen-Philosophie meint, macht der Capitán klar, als er nach seinen 5 Bier am naechstbesten Strassenrand haelt und einen amtlichen Joint geniesst.Die Fahrt im 76´er Mazda beginnt gemaechlich und entspannt, ganz gleich dem Gemuet des Capitáns, welcher angeheitert von seiner deutschen Ex plaudert und uns nebenbei einlaedt in seinem Haus unterzukommen und sogar Zeit in seinem privaten Ferienhaus zu verbringen.
Spaeter, es ist bereits nacht, wird des Capitáns Fahrstil zunehmend plump und waehrend einer der vielen Verschnaufpausen faellt er in einen spontanen Tiefschlaf, aus dem wir ihn nicht aufwecken, da uns jede Entalkoholisierung unseres Fahrers nur allzu gelegen kommt. Ausserdem bleibt so etwas Ruhe, um die vergangenen turbulenten Monate revue passieren zu lassen...

Vor etwa 5 Monaten zog sich der Abschied von allen Freunden in Mexico-City etwas laenger hin, ich gelangte erst am Nachmittag zur Mautsation gen Norden, stand spaeter noch in totaler Finsterniss an der Landstrasse und wurde denoch sofort bis ins Zentrum Guanajuatos mitgenommen, um hier die folgenen Tage mit Toni, Mariana und co. waehrend des "Cervantino"(eines der groessten Lateinamerikanischen Kulturfestivals) zu verbringen.

Der Einladung Raggazams(ein spanischer Dancehall-Kuenstler) folgend, besuchte ich ,nach deshydrierender Tramptour durch die Wuestenvegetation, eines seiner Konzerte in San Luís Potosí. Ueber irgendeinen Irrweg, den das menschliche Gehirn nach durchfeierter Nacht nichtmehr zu rekonstruieren vermag, landete ich nach dem Konzert zunaecht auf einer Geburtstagsparty, spaeter in einer Art Musiker Wohnheim und schliesslich in der Wohnung von Said und seiner Familie, die mich die folgenden Tage bei sich aufnehmen wuerde.In San Luís Potosí machte sich die (relative)Naehe zu den USA durch die Abundanz an urbaner Subkultur bemerkbar und mit einem Teil von Saids Freundeskreis voller Graffiti-Kuenstler, Skateboarder und Musiker zelteten wir an der "Media Luna", einer Lagune abseits der Stadt.


Infolge der naechsten Wochen, in denen ich die uneingeschraenkte Gastfreundschaft von Benedicto in Aguascalientes, sowie abermals von Ana und Jesus in Guadalajara genoss, nahm meine Reise gewissermassen gleich zwei entscheidene Wenden:Erstere bestand darin, dass meine Reiseroute bis dato keinesfalls von rationalem Plaeneschmieden bestimmt worden war, sondern vielmehr von spontaner Reaktion aller in der Luft schwirrenden Ratschlaege, Adressen, Telefonnummern, Versprechungen, Landkarten, Missverstaendnisse und einer Prise Intuition.
All diese Faktoren hatten sich nun mit der Zeit dermaßen summiert, dass mein Verstand gezwungen war einzugreifen und zwischen Unmengen an Optionen auszuwaehlen. Desweiteren machte sich eine Art Unwohlsein dem Fakt gegenueber breit, dass ich bereits 5 Monate meiner Reise in ein und demselben Land verbracht hatte.So wurde mein Schicksaal stattdessen Spielball aller mal exzessiv absurden, mal konkreten Ideen, die letztendlich in einer Entscheidung kulumierten, welche die zweite Wende mit sich brachte: Nun sollte es also wieder nach Sueden gehen, entlang der Pazifikkueste bis Guatemala.

Die jungen Brotverkaeufer am Lago de Chapala, die studentische Tramp-Begleitung in Michoacan, die kalte Nacht in Zamora, der Tag der Toten in Patzcuaro, die Fischerdoerfer Yuriria und Cuitzeo, meine handgemachte Gitarre aus Paracho, die Geschichtslektionen des Uni-Profs, der mich mitnahm und vor allem die schoene Zeit in Morelia, im Apartment von Anna, Eva und Nele...Erinnerungen und Bilder einer Zeitspanne, die so abrupt enden sollte, als mir die Immigrationsbehoerde keine Verlaengerung meines Aufenhalts in Mexiko goennte und mir 12 Tage blieben, um bis zur guatemaltekischen Grenze zu trampen.






Doch noch bevor sich dies ereignete, unternahm ich eine Exkursion an die Pazifikkueste.
Dabei brachte ich sehr schnell in Erfahrung, dass in dem vom Drogenbandengewalt verschreckten Bundesstaat Michoacan Anhalten etwas schwerer faellt und es war nur allzu bezeichnend, dass einige Male die schwerbewaffneten Soldatenkonvois die einzigen Fahrzeuge waren, die mich mitnemen mochten.Auf dem Weg nach Tecomán half ich einem LKW-Fahrer beim Reifenwechsel. Als Ausgleich verschaffte er mir einen Schlafplatz in der Holzfabrik, fuer die er liefert und ich gewann weitere Eindruecke in das Leben der mexikanischen Arbeiterklasse, welche abermals belegten, wie danebengelegen das Klischee des eher faulenzenden als arbeitenden Latinos ist.
Besonders viele der LKW-Fahrer, die mich mitnehmen, haben einen Arbeitsalltag, der in Europa undenkbar waere. Mal muessen sie 5 Tage, beinahe ohne jegliche Ruhepause, fahren. Ein Umstand, der viele zum Kokain oder -aktueller- zum Crystal-Meth greifen laesst, um sich wachzuhalten. Der Lohn betraegt oft ca. 400 Dollar im Monat, mit denen sie die Familie ernaehren, welche viele nur jedes zweite Wochenende zu Gesicht bekommen.

Von der Landstrasse aus konnte ich zum ersten Mal in meinem Leben Blicke auf das hin und wieder zwischen der Kuestenvegetation glitzernde, unendliche Ungetuehm Pazifik erhaschen. Ein Trupp von 4 Herren mittleren Alters nahm mich mit und lud mich ein mit Ihnen zu ihrem jaehrlichen Muschelfang zu kommen. Ich begleitete sie also an einen abgelegenen Strand, von dem wir ueber glattes Vulkangestein in nahtoderfahrungsprovozierender Hoehe an einen Ort gelangten, welcher wohl einer der weltweiten Geheimtipps fuer den erfahrenen Fischer sein muss. Jedenfalls sammelten die vier -wie Kolosse im tobenden Wellengang- stundenlang ungestoert ihre Delikatessen, bis sich alle tragbaren Kapazitaeten erschoepften.
Im Faro de Brucerias lernte ich Veronica, Memo, Bryna und Butch kennen, die in Veronicas Auto quer durch Mexiko reisten. Auf die spontane Einladung "Wir fahren an irgendeinen Strand, komm doch kurz mit", schloss ich mich ihnen fuer die naechsten 6 Tage an und machte die internationale Gruppe noch bunter als sie ohnehin schon war. Am Fusse eines Vulkans in Colima trafen wir auf einen Schamenen, mit dem wir ein Temazcal, ein praekolumbianisches Dampfbad-Ritual, durchfuehrten...



3 Wochen spaeter war ich dann an der guatemaltekischen Grenze angekommen, nachdem ich von Lázaro Cárdenas mit einem Abstecher ueber Oaxaca-Stadt die Pazifikkueste bis nach Tapachula getrampt war und mich dabei ausschliesslich von Bananen und Kokosnuessen ernaehrt hatte.
Ein Biertransport brachte mich in Ciudad Hidalgo bis 200 Meter vor die Grenze. Diese ueberquerte ich schliesslich zu Fuss und ganz unabhaengig von den seltsamen Vorgaengen an beiden Ufern, die kleine Haefen fuer vollkommen offensichtlichen Waren- und Personenschmuggel darstellten, beschlich mich ein unheimliches Gefuehl, das an meinen Eingeweiden nagte. Mexiko, das Land, welches ich 6 Monaten lang durchkreuzt hatte und dabei so lieben gelernt hatte, wollte mich nicht loslassen. Vielleicht wusste ich bereits in diesem Moment, dass es schon bald ein Wiedersehen geben wuerde...



In Guatemala zeugten die vielen Plakate an den Landstrassen noch immer vom Wahlkampf, der einige Monate zuvor zu einer Gewaltwelle gefuehrt und etwa 50 Kreiskandidaten -vor allem der Linksparteien- das Leben gekostet hatte (Waehrend des Wahlkampfes verhaengte die Regierung sogar ein 3-taegiges allgemeines Alkoholverbot, um die Gewalt einzudaemmen). Der frisch gewaehlte Praesident Colom ist nach vielen Jahrzehnten gepraegt von US-finanzierten Militaerputschen, Buergerkrieg und rechtsgerichteten Regierungen/Diktaturen der erste Praesident einer "sozialdemokratischen" Regierung, die juengst Schlagzeilen machte, als sie die Todesstrafe faktisch wiedereinfuehrte. Guatemala wird dabei neben den USA und Cuba zu den wenigen Laendern auf dem amerikanischen Kontinent zaehlen, welche Todesurteile vollstrecken. Dies ist eine Reaktion auf die innenpolitische Situation des Landes, denn Guatemala ist in ganz Lateinamerika das Land mit der hoechsten Mordrate, taeglich werden im Durchschnitt 18 Personen ermordet und vor allem wenn es sich bei den Opfern um vergewaltigte indigene Frauen handelt, folgt in den seltesten Faellen ein Prozess. Die Bevoelkerung greift bereits zu Selbstjustiz und jaehrlich werden etwa 40 vermeindliche Taeter oeffentlich gelyncht (mit Benzin uebergossen und lebendig verbrannt). In der Hauptstadt greifen Polizei und Todesschwadronen zu "aussergerichtlichen Hinrichtungen" und erschiessen nachts jugendliche Bandenmitglieder.

Ich hatte nicht eine einzige Anlaufstelle in Guatemala, keine Adresse eines Freundes eines Freundes...nichtmal eine Adresse eines Freundes eines Freundes eines Bruders eines Freundes, und ohne jeglichen Plan landete ich noch am selben Tag in Quetzaltenango -oder auch "Xela", der zweitgroessten Stadt des Landes. Nachdem ich in Mexiko die grossen Backpacker- und Touristenorte vermieden hatte und beinahe ausschliesslich Umgang mit Einheimischen hatte, blieb ich hier das erste Mal seit Monaten einige Tage in einem Hostel.
Obgleich viele der Backpacker hier sympathische Figuren waren, konnte ich mit dem Reisestil der meisten nicht anfreunden, denn letztendlich steigen alle in die selben Busse, die sie an die selben Orte bringen, wo sie eine auf sie zugeschnittene, kuenstliche Infrastruktur erwartet.

Niels, ein Hollaender, den ich hier kennenlernte, schien diese Bedenken zu teilen. Gemeinsam ignorierten wir die Warnungen all der geldhungrigen moechtegern Tour-Operators, stiegen ohne Begleitung auf den Vulkan Santa Ana und verbrachten dort in unserem Zelt die Nacht.
Auch allen, aus dem Lonley Planet (dieser Name wurde hier zum absoluten Inbegriff uninteressanter Reisemanieren) schoepfenden Warnungen und Hinweisen entgegen, blieben wir weiterhin per Anhalter unterwegs. In Guatemala muss man sich dabei einfach an andere Regeln halten als in Mexiko. Viele der Pick-Ups sind eine Art Nebenverdienst als private Taxis und dabei sogar oft teurer als die lokalen Busse, daher muss man vor dem Einsteigen sichergehen, dass es sich um einen kostenlosen Ride handelt. Auf den groesserern Landstrassen ist dies aber fast immer der Fall.

Leider landeten wir letztendlich doch in einigen Backpackerorten, allerdings konnte ich dadurch mein negatives Bild dieser noch etwas verfestigen.In Orten wie "San Pedro la Laguna" am Lago de Atitlan treffen sich Menschen aus aller Welt, meist mit dem Vorwand "Spanisch zu lernen und das Land ein wenig kennenzulernen". Die allermeisten tun hier allerdings nichts grossartig anderes als sich mit Gleichgesinnten zu berauschen, Filme(auf Englisch) zu schauen, und ein paar Vulkane zu besteigen. Dabei wird einerseits der Vorwand des Spanisch-Lernens ad absurdum gefuehrt, man trifft 12-jaehrige in aufgeschnapptem Brocken-Englisch Gras verkaufend auf der Strasse, die Aussgaben der jungen Wilden gehen an europaeische, nordamerikanische und israelische Barbesitzer und Grosskonzerne, denn nicht einmal -und hier kann man wirklich wuetend werden- der lokale Kaffee, der das wichtigste Agarprodukt der Region darstellt, wird in den meisten der Gringo-Bars verkauft...Nescafé ist nunmal bequemer.

Eines morgens weckte mich Niels noch vor Sonnenaufgang mit folgenden Worten auf: "Alter, Finn, meine Sachen sind gepackt. Waehrend ich dusche kannst du dir nochmal ueberlegen, ob du wirklich nicht mit nach San Salvador willst."
Vielleicht war mir Niels, der verrueckte Hollaender mit seinem markanten Akzent in allen Sprachen, die er beherrscht und seinen tragisch-komischen Frauengeschichten zu sympathisch geworden oder wir beide waren einfach gleichermassen grosse Fans von zwar unueberlegt bloeden, aber spontanen Entscheidungen. Jedenfalls sass ich 2 Stunden spaeter in der Ladeflaeche eines Pickups auf einem gefaehrlich schwankendem Stapel von Sofas, von einem nur unwesentlich ungefaehrlicher schwankendem Sessel grinste mir dieser scheiss verrueckte Hollaender entgegen und der Wahnsinn und die Freiheit liessen mich in diesem Moment vergessen, dass mir kurz zuvor in Guatemala City meine Kamera gestohlen wurde und mir nur 1000 Woerter bleiben fuer jedes Bild. (Von hier an sind alle Bilder von anderen Personen oder zumindest mit Kameras anderer Personen geschossen.)

Bekanntlich belohnt das Schicksaal die Tapferen und so realisierte sich der vollkommen irrationale und unrealistische "Plan" tatsaechlich und wir trampten an einem einzigen Tag von Antigua bis nach San Salvador. Unterwegs lud uns ein sympathischer Señor auf seine Papaya-Plantage ein und gemeinsam mit den Campensinos verkoestigten wir verschiedene Sorten und Preparationen dieser wunderbaren Frucht.
Spaet nachts kamen wir also im wilden Djungel der salvadoreanischen Hauptstadt an, in der die Menschen sich in die oeffentlichen Busse zwaengten bis diese foermlich ueberquirrlten, an jeder Station die Fahrgaeste in Salben ausspuckten und dabei bestaendig unbeschreiblich laute und schlechte Musik pumpten.

In San Salvador verblieben wir die 4 Naechte im Hause von Paco und seiner Familie und besonders durch seinen Vater lernten wir einen grossen Teil der salvadoreñischen Kueche und all die kleinen Unterschiede des dortigen Spanisch gegenueber dem mexikanischen. Von hier aus unternahmen wir einige Ausfluege in die Umgebung und als wir eines Tages einen Vulkan nahe Santa Anna bestiegen, trafen wir auf ein Filmteam, welches fuer National Geographic/Discovery Channel arbeitete und uns sogleich um ein Interview bat. Schnellschaltend fragten wir, ob sie uns dafuer zurueck nach San Salvador nehmen koennten, und 2 Stunden spaeter sassen wir im absoluten VIP Bus, in dem wir mit dem Team den Abschluss der Dreharbeiten mit ordentlich Rum feierten.
Fast jede Peron, die uns in El Salvador mitnahm, erzaehlte uns vom persoenlichen Schicksaal waehrend des Buergerkriegs. Viele waren fuer lange Zeit in die Staaten immigriert und nun seit einigen Jahren wieder im Heimatland, in dem die scheusslichen Verbrechen, die u.a. kuerzlich gefundene Kinder-Massengraeber belegen, weiterhin groesstenteils totgeschwiegen werden.
Heutzutage machen gerade in der Haupstadt die Jugendbanden vielen das Leben schwer. Pacos Mutter etwa musste monatlich Geld an die Maras abtreten, die das Viertel kontrollierten, in dem sie ihren Lebensmittelladen fuehrte, welchen sie daher schliesslich aufgeben musste. Widerstand ist zwecklos, wer nicht zahlt, wird umbegracht, so einfach ist das und die Polizei ist in fast allen Faellen machtlos und/oder korrupt.

Ueber Weinachten mochten wir die Familie nicht weiterhin mit unserer Anwesenheit stoeren, also mieteten wir eine kleine Huette an der Pazifikkueste und verbrachten hier einige Tage mit Surfbrettern und billigem Rum.
Das letzte mal sah ich den verrueckten Hollaender dann, als er in einem Pick-Up davonfuhr und mir mit einer "Haha! ich war schneller!" Geste zum Abschied winkte. Ich hatte mich dazu entschlossen nicht mit ihm nach Nicaragua zu kommen, sondern nach Mexiko zurueckzukehren, denn dort fand das "Intergalactic Rainbow Gathering" statt, welches mein Interesse geweckt hatte.
Zunaechst bekam ich einen sehr Lift von einem LKW-Fahrer, der mich bis Guatemala-City brachte. Ahnungslos versuchte ich in einer der gefaehrlichsten Zonen der Stadt zu trampen. Der erste Polizeiwagen bremste bei diesem Anblick abrupt, man lud mich in den Wagen und einer der Beamten setzte sich, die Maschinenpistole im Anschlag, neben mich auf die Ladeflaeche.

2 Tage spaeter gelangte ich also wieder an die mexikanische Grenze und stiess nahe Comitán auf einen Trupp Einheimischer-Tramper, welche auf dem Weg zur Garucha waren, wo eine grosse EZLN-Versammlung stattfand. Hin- und hergerissen zwischen Zapatista-Treffen und Rainbow Gathering entschied ich mich fuer letzteres und verabschiedete mich von meinen frischen Freunden.
Spaeter, als ich schon auf der Suche nach einem sicheren Schlafplatz war, naeherte sich ein Wagen, den ich als letzten Versuch erklaerte noch am selben Tag voranzukommen. Der Pick-Up passierte mich zuerst, bremste, fuhr ein paar Meter weiter und setzte schliesslich zurueck. Es handelte sich um den Tourwagen der Reggae-Band "Kirash" aus Villahermosa, die gerade von einem Gig in San Cristóbal de las Casas heimkehrte und mit denen ich noch jede Menge Spass hatte.

Nun war es also soweit. Ich hatte alle zugaenglichen Quellen im Internet nach Information bezueglich des Rainbow Gatherings abgegrast und hatte denoch nur ein paar lose Namen von kleinen Ortschaften in der Hand. Am Nachmittag in "las Choapas" angekommen waehnte ich mich nun schon sehr nahe. Eine freundliche Familie nahm mich bis nach Cerro Nachital mit. Was auf der Karte nach einem 20 minuetigem Spaziergang aussah, erwies sich als 2-3 stuendige Autofahrt und immernoch hatte ich kein einziges Indiz irgendeines grossen Hippie-Lagers entdecken koennen. Ich verbrachte die Nacht in einem Feldbett auf einer kleinen Ranch und als ich am regnerischen Folgetag endlich am -geglaubten- Ziel "el Desengaño" ankam, stellte sich der Name desselben Ortes als wahrhaftig zutreffend heraus, denn es folgte ein zweistuendiger Marsch durch den fiesesten Matsch dieser Welt inklusive Flussueberquerungen, wilden Stieren, die auf mich losrannten und permanenter Zweifel, ob dieses Treffen tatsaechlich an diesem gottverlassenen Ort stattfinden sollte.
Diverse Stuerze spaeter, nach denen ich und mein tonnenschweres Reisegepaeck sich zunaechst nass, dann matschig, bald einfach nur lehmig wieder erhoben , gelangte ich zu einem bunt gemalten Schild und obwohl ich exakt beim Erblicken desselben erneut stuerzte, fuehlte ich mich doch sehr erleichtert, denn es stand geschrieben: "Welcome Home, Bienvenidos a casa!!!"


Der lange Marsch hatte sich gelohnt. Am Rande der kleinen Doerfer beginnt eines der groessten Naturreservate Mexikos und es erstreckt sich ein riesiger, unberuehrter tropischer Djungel. Hier verbrachte ich die naechsten 3 Wochen mit etwa 300 Personen aus ueber 60 unterschiedlichen Laendern.
Der Ort war beeindruckend schoen. Zwei vollkommen klare Fluesse treffen hier auffeinander, in denen man baden und sich von der Stoemung an andere Orte treiben lassen kann. An den Ufern der Fluesse erhebt sich eine dichte Djungelvegetation und oft beobachtete ich Affen aus naechster Naehe, welche mir wild entgegengestikulierten und ueber mir von Baum zu Baum sprangen. Einige hundert Meter vom Camp entfernt, konnte man vollkommen ungestoert in den tiefen Djungel eintauchen und die schoensten Orte dieser Welt finden, die man nur mit seinen natuerlichen Bewohnern teilte.
Das etwa 6 monatige Camp selbst wurde von einer internationalen Karavanne ins Leben gerufen, die schon seit etwa 9 Jahren auf ihren Pferden unterwegs ist und auch sonst traf ich auf die kuriosesten Charaktaere und unglaublichsten Lebensgeschichten. Zweimal am Tag wurde gemeinsam gespeist, das Essen wurde von einem Geldpott eingeauft, zu dem jeder nach eigenem Ermessen beitragen konnte und alle Taetigkeiten, die anfallen (Feuerholz, Wasserversorgung, sanitaere Einrichtungen, Essenszureitung ... etc.) wurden freiwillig erledigt. Jede zweite Person hatte irgendein Instrument mitgebracht, bestaendig wurde wild gejammt und es gab massenweise Anbegote an Workshops von Permakultur ueber Meditation bis Spoken Word.
Trotz einer schweren Ueberflutung, waeherend der einige Personen nachts im Fluss aufwachten und tatsaechtlich aus ihrem Zelt schwammen und diverser anderer Probleme wie der Zugaenglichkeit des Ortes, der Hygenesituation, Trinkwasser etc. hielten alle zusammen und ich verbrachte eine unvergleichbar besondere Zeit auf dem Rainbow Gathering.

Chris, ein Kanadier den ich dort kennenlernte, wurde zu seiner Reise vom selben Buch inspiriert wie ich und sein Ziel war gleich dem meinem: Per Anhalter bis Patagonien...Grund genug also um gemeinsam weiterzureisen.
Und so geschah es. Wir verliessen das Rainbow Gathering und wurden von einem etwa 60 jaehrigem Amerikaner mitgenommen, der gemeinsam mt ein paar anderen Rainbow-Leuten auf einer "Mushroom-Mission" war. Zu 8 sassen wir in und auf seinem winzigem Auto und alle 20 Minuten bruellte Shelby, der offensichtlich auch in seinem sehr berauschten Zustand noch sehr gute Augen hatte: "Muuuuuuushroooooooooom!!!!! Stooooooooooooooop!!!!!!!!"
Irgendein Spassvogel hatte auf dem Gathering meine Kreditkarte gestohlen, sich eine schoene Zeit in einem Hotel in Veracruz gemacht, diverse Einkaeufe bei SEARS erledigt und dabei nebenbei den Grossteil meines Geldes verballert. Da ich den Diebstahl nicht sofort bemerkte und im Djungel verschwunden war, machte man sich daheim Sorgen und in las Choapas bekam ich dann zu hoeren, dass bereits INTERPOL nach mir suchte.
Ich erhielt 100 Dollar von meinen Eltern und als ich gemeinsam mit Chris und Collin aufbrach, war klar, dass ich noch kostenguenstiger als bevor reisen wuerde.

Zu dritt trampten in ein kleines Dorf in Tabasco, nahe Chiapas. Wir schlugen unser Nachtlager in einem kleinen Waldstrich nahe der Landstrasse auf, Collin ging als erster zu Bett und als wir nach einer Gitarrensession mit einem LKW-Fahrer in unsere Haengematten fielen, war Collin verschwunden. Bis heute wissen wir nicht, was passiert war.
Mitten in der Nacht weckten mich 4 in Tarnfarben bemalte Gesichter und ein paar Maschinengewehre aus dem Schlaf.
Nachdem die Soldaten unsere Sachen durchsucht, uns essentielle Information wie etwa die Waehrungen unserer Laender und deren Kurse entlockt und unzaehlige Witze ueber die beiden Gringos und ihr primitives Nachtlager gerissen hatten, wachten wir am naechsten Morgen auf, um an die guatemaltekische Grenze zu gelangen.

Mit Chris verstaendigte ich mich auf folgende Reisemethode: Wir trampten von kleinem Dorf zu noch kleinerem Dorf, suchten dort jeweils gegen Abend einen Ort fuer unsere Haengematten und eine Feuerstelle zum kochen.
Mit dieser Vorgehensweise sollten wir wochenlang stets Erfolg haben.
Wir verbrachten in Mexico die letzte Nacht zwischen unbeachteten Maya-Ruinen an einem See, am naechsten Morgen durchquerten wir el Petén und ein Lastwagen brachte uns bis nahe der honduranischen Grenze, wo ein Restaurant uns unsere Haengematten spannen liess.
Wir hatten bereits seit der Grenzueberquerung nach Guatemala ein ungutes Gefuehl, welches vermutlich daher ruehrte, dass wir an diesem eher unueblichen Grenzuebergang keine Immigrationsbehoerde entdeckt hatten und daher ohne Stempel eingereist waren.
Die Grenzbeamten konnten dies nur bestaetigen und da wir keine Strafgebuehr bezahlen wollten/konnten, entschieden wir uns dazu Guatemala nochmals zu durchqueren, um ebenfalls "illegal" nach Mexiko einzureisen, um dann -diesmal gemaess der Spielregeln- endlich weiterreisen zu koennen.

Um Abwechslung in dieses Spiel zu bringen, entschieden wir uns wenigstens ueber eine andere Route an die Grenze zu gelangen und dabei ahnten wir nicht welche Konsequenzen dies mit sich bringen sollte, denn diese Route verwandelte sich ploetzlich in eine eher unfrequentierte, abgelegene Schotterpiste. Diese noetigte uns, 6 Tage ueber laecherliche Distanzen im Schneckentempo zurueckzulegen. Dabei landeten wir unter anderem in Chichitepe, einem kleinen Dorf, in dem wir zunaechst zur allgemeinen Unterhaltung beitrugen als wir mit den einheimischen Kids Fussball spielten. Fast niemand hier sprach fliessend Spanisch, der Mayadialekt Quiché herrschte vor. Denoch freundeten wir uns schnell mit der Gemeinde an und der von den beiden verrueckten Gringos aufgeheiterte Haufen Kinder brachte uns zu einer Huette, in der wir die Nacht verbringen und kochen konnten.
In jeder kleinen Ortschaft, in der wir Halt machten, trafen wir auf die herzlichsten Familien, die uns fuer eine Nacht bei uns aufnahmen und es erfolgte stets ein interessanter interkultureller Austausch. Eine der schoensten Erfahrungen machten wir als wir am spaeten Abend einen Berg bestiegen und dort auf Herman und seine Familie trafen. Wir lernten viel ueber einheimische Gerichte und Delikatessen und im Gegenzug konnten wir diesen Menschen das erste Mal in ihrem Leben eine skizzierte Weltkarte vorfuehren, die sie mit Verblueffung begutachteten.

Mehrere Ortschaften wurden waehrend unseres Besuches Schauplatz von Gewaltverbrechen, ein Busfahrer und zwei Insassen wurden nur einige hundert Meter entfernt erschossen. Fuer die Einwohner bereits Alltag, sie machten uns klar: Solange du dich da heraushaelst, keine Fragen stellst und niemanden anzeigst, passiert dir nichts.
Auch ein ehemaliger Guerrilla-Kommandant nahm uns mit, erzaehlte uns vom Buergerkrieg, in dem er im Zweifelsfall seinen leiblichen Bruedern gegenueberstehen musste, welche einer der Volksmilizen angehoerten, und wie Sozialismus, Che Guevara und Gott zusammenpassen: "An irgendetwas musst du glauben, wenn du eine Waffe in der Hand haeltst".
Schliesslich ueberquerten wir die Grenze und mieden diesmal mit wohlbesonnener Absicht die Immigrationsbehoerden und alles uniformierte Personal.

Abermals wollten wir einen anderen Grenzuebergang waehlen und auf dem Weg nach Tapachula landeten wir in Huixtla. Dort dirigierten uns die Einwohner zu einer Kirche, in der wir uebernachten koennten. Hier machten wir eine der interessantesten Erfahrungen unserer Reise. Im Vorhof der Kirche versammelt fanden wir eine Gesellschaft illegaler Immigranten aus Honduras, El Salvador und Guatemala vor. Ab und an kam der Pastor vorbei, welcher ihnen zwischen konkreten Wegbeschreibungen und christlichen Predigten schwankende Ratschlaege gab, die ihnen auf dem Weg in die USA helfen sollten. Was wohl nett gemeind war artete allerdings oft in einer schizophren-egozentrischen Bekenntnis zum Christentum aus.
Wir verbrachten die Nacht gemeinsam mit den Immigranten und hoerten die Lebensgeschichten dieser jungen Helden. Viele von ihnen waren vollkommen ohne Geld unterwegs, andere hatten genug um einen Schieber zu bezahlen, der sie von Mexico-City bis in die Staaten bringen sollte. Fuer fast alle war es der erste Versuch, sie waren voller Hoffnungen und Aengste und gleichzeitig ruhig und bescheiden, obgleich sie wussten, dass sie grosse Teile der Strecke marschieren wuerden, stets der Polizei ausweichend, dass sie eventuell die Wueste durchqueren wuerden und einige dabei ums Leben kommen. Auf der anderen Seite wartet dann zwar meist Geld, aber ein keineswegs angenehmer harter Arbeitsalltag und ein Leben am Rande der Gesellschaft.
Stetig dachten wir darueber nach, wie wir diesen Menschen am besten helfen konnten. Schliesslich fiel uns nichts anderes ein als unser Essen mit ihnen zu teilen. Was diesen Menschen fehlte war Gerechtigkeit und was sie daher brauchten war Glueck. Auch Geld hilft dabei nicht weiter. Einige von ihnen hatten bereits fuer etwa 2000 Dollar (!) Schieber bezahlt, von denen einige ihre "Klienten" nur ausrauben.
Trotz aller Nachrichten und Reportagen ueber das Phaenomen illegaler Immigration aenderte diese Nacht meine Wahrnehmung der Reise gewaltig:
Fuer mich war diese Reise nichts als ein Spiel. Ich konnte alles verlieren und allein durch meine deutsche Staatsbuergerschaft wuerde ich nie in eine Situation geraten, die vergleichbar waere mit der dieser Menschen. Grenzen sind imaginaere Linien, die fuer einige zum Fluch und fuer andere zum Seegen werden.

Auf dem Weg nach El Salvador begegneten wir 4 Jungs, die noch einige Tage zuvor den selben Traum getraeumt hatten, welcher zerplatzte als die mexikanische Immigrationspolizei sie aufgriff und abschob. Im Fluechtlingslager in Tecun Umán wurden sie einen Tag zuvor auch noch ausgeraubt. Nun waren sie auf dem Weg zurueck in die Heimat: Nicaragua. Gemeinsam mit ihnen wurden wir von einigen Lastwagen mitgenommen, trennten uns dann und sahen sie davonfahren in ihre ungewisse Zukunft.
In El Salvador machten wir die Bekanntschaft mit dem jungen Paar Leo und Brinda und verbrachten mit Leos grosser Familie einige Tage auf ihrem Grundstueck an der Pazifikkueste.
Da alle Immigrationsbehoerden fuer die Touristenkarten Gebuehren verlangt hatten, neigte sich mein Geld dem Ende zu und so manifestierte sich der Plan von selbst: Ab nach Costa Rica und arbeiten.
Daher blieb keine Zeit Honduras naeher kennenzulernen, wir durchkreuzten das Land an einem Tag und kamen spaet abends in Sébaco im Norden Nicaraguas an. Dort lernten wir einen Beamten der oeffentlichen Sicherheit kennen und befestigten unsere Haengematten einfach neben seinem Stuetzpunkt auf der Stasse inmitten des Stadtkerns.

Auf der Isla Ometepe fand zu dieser Zeit auf einer Finca ein Permakultur-Workshop statt, an dem zwei "Rainbow-Brueder" teilnahmen und Chris hatte die ehrenvolle Mission erhalten ihnen ein Buch zu ueberbringen. Daher verbrachten wir 4 Tage auf dieser Insel im groessten Sees Zentralamerikas, welche zwar ein Magnet fuer Backpacker ist, allerdings viele ruhige Ecken hat und jede Nacht freundeten wir uns mit Einheimischen in kleinen Doerfern an, die uns auf ihren Grundstuecken uebernachten liessen. Der ewige Buergerkrieg des Landes hatte dieses vom Festland isolierte Gebiet verschont und das Leben auf der Insel strahlte eine ungewohnte Leichtigkeit aus.
Zurueck in San Jorge lernten wir Guillermo kennen und in seinem Haushalt, in dem wir die folgen Tage verbrachten, lernten wir mit seiner Frau die Preparation von "Ponche", ein koestlicher Milch-Eier-Rum-Zimt Mix. Guillermo kaempfte einst auf Seite der FSLN gegen die Samoza Diktatur, doch mit dem Kurs der Regierung unter Daniel Ortega, welche sich einerseits Chavez annaehert und andererseits Freihandelsvertraege mit den USA unterzeichnet, kann er inzwischen nichts mehr anfangen.
Eines Morgens weckte mich das nerventoetende Gebruell eines Tyrannosaurus Rex, welcher mich zu verspeisen versuchte. Tatsaechlich wachgeworden oeffnete ich dann die Augen und das gefaehrliche Ungetuem entpuppte sich als ein Schwein, welches in den Hof gezerrt wurde und nicht ich sondern dieses harmlose Wesen sollte verspeist werden.
Die lautstarken Schreie und das Todesroecheln des Schweines sassen tief in unseren Knochen als wir auf der Landstrasse standen und in gewisser Weise fuehlten wir zwei Hippiesehlen unseren Vegetarismus in diesem Moment sehr gerechtfertigt.
2 Stunden spaeter waren wir in Costa Rica angekommen...

Meine Augenlider sind im Begriff den Kampf mit der Muedigkeit aufzugeben, doch urploetzlich regt sich die Hand des Capitáns und noch bevor er die Augen oeffnet, hat er den Wagen gestartet. Waehrend wir weiterfahren muessen dem Capitán etwa folgende Gedanken durch den Kopf gehen: "Wer verdammt nochmal sind diese beiden Typen?". Jedenfalls plaudert er nun nicht mehr so munter vor sich her und macht einen eher verkaterten Eindruck.
In tiefster Nacht kommen wir in San José an und noch immer rechnen Chris und ich damit diese Nacht im Hause des Capitáns zu verbringen. Dieser allerdings parkt den Wagen und gaehnt eher beilaeufig: "Also...Ich muss hier rechts abbiegen...Ich weiss ja nicht was ihr so vorhabt, aber links gehts ins Zentrum". Mit dem Echo dieser Worte im Ohr, sehen wir den Capitán davonfahren, zuerst rechts abbiegen, dann schweifen unsere mueden Blicke Richtung Zentrum, schliesslich treffen sie sich und
obwohl wir hundemuede mitten in der Nacht mit unseren Rucksaecken in einer fremden Grossstadt stehen faellt uns in diesem Augenblick nichts besseres ein als laut loszulachen.