Thursday, May 1, 2008

Dichte, zornig grollende Wolken ziehen zusammen, in einer Stunde wäre aufgrund der überfluteten Strassen normalerweise der Verkehr lahmgelegt; in Costa Rica hat die Regenzeit begonnen. Doch heute steht stattdessen die Zeit still und die Strassen sind leer. Es ist der erste Mai, die meisten verbringen den Feiertag heute mit ihren Familien, obgleich Arbeiter und Kleinbauern in diesem Land Grund genug hätten um auf die Strasse zu gehen.


Auch ich nutze den freien Tag, um die Füsse hochzulegen, ich sitze mit meinen Mitbewohnern José Miguel, Elena, Maria und Sanni in userem geräumigen Wohnzimmer und lausche dem Regen, der sich unentwegt in den Vorhof stürzt.
Es bleiben einige Examen zu korrigieren und die Unterrichtsstunden der kommenden Tage vorzubereiten. 6 Stunden am Freitag und 12 Stunden am Samstag, nach denen ich gewöhnlich in meine Hängematte falle und vor Sonntag morgen nicht mehr aufwache.

36 Stunden arbeite ich inzwischen im "Instituto Latinoamericano de Idiomas" als Deutsch- und Englischlehrer.
Gekündigt habe ich bereits und in zwei Wochen befinde ich mich höchstwahrscheinlich schon in Panama. Sicherlich werde ich meine Mitbewohner, die frisch gewonnenden Freunde und einiger meiner Schueler vermissen, doch ebenso freue ich mich darauf endlich weiterzureisen, den Arbeitsalltag und die "eigenen" vier Wände hinter mir zu lassen. Dinge, an die ich mich nach langem Reisen nicht mehr gewöhnen kann, obwohl ich sie vor über 2 Monaten noch herbeisehnte, als der Capitán Chris und mich der Stadt überliess...



Dunkle Fassaden, kühler Wind, Autos, die sich in den Gassen verirren, uns gelegentlich passieren und mit ihren Scheinwerfern blenden.
Da standen wir also, in tiefster Nacht und in einer fremden Stadt, die uns still beobachtete.
Meine Finger tasteten am leeren Magen, kratzten dann am grübelnden Kopf und rieben schliesslich die müden Augen, welche am Strassenende einige Bäume ausmachten, die sich später als Teil der Parkes "la Sabana" herausstellten. Im Park stiessen wir weder auf den erhofften gemütlichen Schlafplatz noch auf genügend Feuerholz für das Abendmahl.

Wir stellten uns also wieder an den "Paseo de Colón" gen Zentrum. Ein Streifenwagen der Polizei nahm uns mit und setzte uns vor dem Busterminal ab, welches rund um die Uhr geöffnet ist.

Die harten Plastiksitze und unsere leeren Mägen liessen uns zunåchst keinen Schlaf finden, doch zehn Minuten und einen meiner Geistesblitze später verschlangen wir gierig unser Rührei, welches wir auf eher unkonventionelle Weise in der Mikrowelle eines Ladenbesitzers zubereitet hatten.

In der Morgendaemmerung haette man an unseren Augenringen wohl Kleiderbuegel aufhaengen koennen und Chris´Umhaengetasche, an der er schon einige Wochen gestrickt hatte, war auf einmal komplett. Wir waren also sehr gluecklich, die naechsten zwei Tage beim Couchsurfer Howard verbringen zu koennen.


Nun sassan wir -endlich ausgeschlafen- in der Avenida Principal und die Sonne schien uns verschwoererisch ins Gesicht ohne uns zu verraten, dass sich dieser strahlende Tag sobald in eine der laengsten Naechte unserer Leben verwandeln wuerde.

Ich hatte Chris von meinem Einfall ueberzeugen koennen ein Schild zu malen, um auf diesem Wege eine Unterkunft zu erbeten. Nun passierten fuer etwa eine halbe Stunde all diese Gesichter, die meist anfangs die Stirn runzelten und schliesslich entweder breit grinsten oder den Kopf schuettelten als die das Schild lasen. Geschrieben stand "Dos viajeros buscan alojamiento - podemos cocinar" - "Zwei Reisende suchen Unterkunft - wir koennen kochen".

Eines dieser Gesicheter tauchte nach 2 Minuten ein zweites Mal auf und naeherte sich langsam...


Vor uns steht ein fremder Mann mittleren Alters mit seltsam funkelden Augen und einer nervoesen Stimme. "Seid ihr gute Leute?".

Der Fremde erlaeutert uns, dass er uns einen Schlafplatz bei seiner Mutter verschaffen koenne. Wir folgen ihm. Im Bus fuehrt er aus, dass er vorher natuerlich seine Mutter fragen muesse und diese eventuell Einwaende habe. Insgeheim wissen wir in diesem Moment schon, dass wir aller Vorraussicht nach in kurzer Zeit wieder mit dem Schild im Zentrum sitzen werden. Seine unsichere Stimme mit der dezenten Alkoholfahne verraet uns das, doch der Fremde hat ein gutes Herz, das merkt man ihm an.

Schon bevor wir die Tuerschwelle erreichen bruellt uns seine Mutter oder Schwester (Der Fremde sagt, es sei seine Schwester, sie selbst nennt ihn ihren Sohn) entgegen: "Hier habt ihr nichts verloren, es tut mir leid, aber verschwindet hier". Der Fremde zerrt uns denoch in den Wohnraum und verschwindet kurz in der Kueche. Der Wohnraum ist geraeumig und gut ausgestattet, besonders fuer dieses eher arme Viertel, ich frage mich fuer einen Augenblick, warum gerade diese Familie so zerbrochen ist und sich permanent anbruellt. Im selben Moment erscheint der Fremde wieder im Wohnraum, von den Mundwinkeln und vom tropfenden Kinn erreicht uns der Geruch starken Alkohols...




Ein paar Jugendliche nahmen uns zurueck ins Zentrum und wir sassen schweigend da, ich faltete die Telefonnummer, die uns der Fremde hinterliess in der Hand. Er hatte ein gutes Herz, das merkte man ihm an, doch durch seine Sucht vertraute ihm nichteinmal seine eigene Familie.

Noch bei Abenddaemmerug sassen wir da mit unserem Schild, es wurde Nacht und ein kuehler Wind blies.




Eine elegante gekleidete Dame marschiert aus dem Teatro Pincipal, erblickt uns und kommt auf uns zu. Falls wir bis um 11 Uhr nachts nichts faenden, koennten wir sie anrufen und die Nacht in ihrer Wohnung verbringen.

Als sie in der Nacht verschwindet, spricht uns ein Jugendlicher an, der schon seit einiger Zeit neben uns gesessen hat. "Ich heisse Danni", stellt er sich uns vor "ich habe euch nachmittags mit dem Schild im Zentrum gesehen". Danni ist einer der vielen Immigranten aus Nicaragua. Seine Familie wohnt in Limón, an der Karibikkueste und arbeitet in den Bananenplantagen. Am liebsten wuerde er seinen Schulabschluss machen und studieren, doch sein Vater ist inzwischen zu alt zum arbeiten und so muss er Geld fuer seine Familie verdienen. Er hat seit 2 Tagen nicht geschlafen.

Um 11 rufe ich die elegante Dame an. Eine Maennerstimme antwortet und macht es sehr kurz: Seine Frau schliefe schon und er wisse von nichts.


Nun waren wir also genauso weit wie vorher. Wir nahmen Danni mit uns, suchten ein paar Stadtparks ab und sprachen mit unzaehligen Parkplatzwaechter, die uns stets erklaerten, dass ihr Boss ihnen verboten haette, Fremden den Zugang zu gewaehren. Beinahe hatten wir die Hoffnung verloren als wir uns dem letzten Plarkplatz naeherten...




Der Waerter mustert uns skeptisch und sagt schliesslich: "Ihr koennt hier bis 5 Uhr morgens bleiben, dann kommt mein Boss". Er selbst kommt aus El Salvador, ist waehrend des Buergerkriegs gefluechtet und grinst "Ich war selbst in eurer Situation".


Chris und ich schwiegen, wir wussten, dass er niemals in unserer Situation gewesen war, sondern in der von Danni. Fuer uns war all dies kein bitterer Ernst und trotzdem waren wir froh Zeugen zu werden von dieser warmen Geste und der Empathie zwischen Personen, die die Welt einmal aus der selben Perspektive sahen: von unten. Auch waren wir gluecklich, dass wir Danni einen Schlafplatz gefunden hatten. Kurz vor der Morgendaemmerung wachten wir auf und Danni verabschiedete sich von uns. Er haette die Adresse einer Kirche bekommen, die ihm weiterhelfen wuerde, wir koennten ihn vor dem Teatro Nacional wiedertreffen. Ich habe ihn bis heute nicht wiedergesehen.


Schliesslich hatten wir bei Andres und Mario fuer eine Woche eine Unterkunft gefunden und machten uns fleissig auf die Suche nach Arbeit. In unsere besten Schalen geworfen, klapperten wir Hotels, Bars und Sprachschulen ab, verteilten Bewerbungen. Chris gab schnell auf und fasste zu etwa diesem Zeitpunkt den Plan, bald nach Kanada zurueckzukehren und sein Philisophie-Studium fortzusetzen, um spaeter weiterzureisen.



Ich errinnerte mich an eine Sprachschule im Zentrum San Josés, in der ich einmal das WC aufgesucht hatte und daher schliesslich schon einen wichtigen Kontakt geknuepft hatte. Obwohl Chris mich fuer verrueckt erklaerte, gab mir diese Schule sogleich einen Job als Deutsch- und Englischlehrer. Noch am naechsten Morgen sollte ich meine erste Klasse unterrichten.

Nur hatten wir zu diesem Zeitpunkt wieder einmal keine Unterkunft fuer die Nacht. Wir hatten uns mit Christopher, einem weiteren lokalen Couchsurfer, verabredet.


Christopjer ist eine kleine, duerre Gestallt und wirft durch seine dicken Brillenglaeser einen derart philosophischen Blick, dass er sich diesen patentieren lassen sollte. Er selbst hat vor einigen Tagen seine Wohnung verlassen, in der nun seine Ex-Freundin wohnt. Aber er habe schon eine Idee, wo wir die Nacht verbringen koennen. Gemeinsam steigen wir in einen Bus und Christopher erzaehlt uns von seinen Erfahrungen in Schweden, wo er 2 Jahre lang das International Word College besuchte. Ich habe bereits die Zeit vergessen, doch wir muessen wohl ueber eine Stunde gefahren sein, es ist bereits finstere Nacht und als wir aussteigen und auf einem kleinen Pfad in den tiefsten Wald eintauchen, faellt mir ein, dass ich am Folgetag um 8 Uhr morgens meine erste Englischklasse gebe.



Schliesslich verbrachten wir zwei Tage in dem Haus eines Kuenstlerehepaars, die ein Restaurant im Wald besitzen und deren Sohn ein Freund Chrisophers ist. Wir wurden in die Kunst des Brotbackens eingeweiht und ich erreichte zwar hundemuede aber puenklich die Sprachschule. Chrisopher mietete sich in eine kleine Huette im Garten der Familie ein, zu der wir ihn wir ihn wie einen Blinden am Stock fuehren mussten, denn Christopher sieht schon in der Abenddaemmerung nicht mehr die eigene Hand vor Augen. Ausserdem fuehrte Christopher uns hier seinen ganzen Stolz vor: Seife. Er hatte sich ein privates Laboratorium zusammengebastelt und stellt nun im Eigenverfahren Naturseife her, die nun ueber eine Agentin fleissig Abnehmer -vor allem in den USA- fand. Christopher war die ueberaus sympathische mehr als typische Verinnerlichung der Rolle des verrueckten Wissenschaflters.


Chris traf Jenna, eine Bekannte vom Rainbowgathering und verschwand mit ihr gen Karibikkueste, waehrend ich meine inzwischen 12 Stunden Englischunterricht pro Woche gab. Ueber den Peruaner Giancarlos, einem Couchsurfer, und dessen chilenische Mitbewohnerin Pamela, lernte ich die spanischen Austauschstudenten Elena und Jose-Miguel kennen und mietete mich fuer den Rest des Monats in ein Zimmer ihres Studentenhaushalts ein, welchen wir mit der Finnin Sanni und dem Costa Ricaner Mauricio teilten.



Es kamen weitere Englisch- und Deutschkurse dazu und letztendlich fand ich mich vor einem ungeahnten Haufen Arbeit wieder, denn ich merkte schnell, dass ich in dieser Schule auch selbst Examen vorbereiten, korrigieren und Schueler bewerten musste.

Eines Tages oeffnete sich der Fahrstuhl und ich blickte Chris entgegen, der mitsamt Reisegepaeckt in meiner Schule auf mich gewartet hatte. Wir teilten uns also das Zimmer und die Kosten und schon waren wir 6 im Haushalt. Ueber Ostern hatte ich ein verlaengertes Wochenende und ich entschied mich sehr spontan selbst fuer ein paar Tage die Karbikkueste Costa Ricas kennenzulernen.


Chris hatte mir von einem sehr ruhigen, menschenleeren Strand erzaehlt, an dem er ein paar Tage uebernachtet hatte und tatsaechlich erreichte ich selbigen nach seiner simplen Beschreibung: "Steig einfach aus, wenn du die bunten Palmen siehst". An die Kueste zu trampen war ein Kinderspiel und dort angekommen, begann ich damit mein Nachlager zu errichten. Zwei Jugendliche naeherten sich mit einer Flasche Guaro, dem starken lokalen Schnaps, der aus Zuckerrohr gewonnen wird und luden mich ein, die naechsten Tage mit ihrer Familie zu verbringen. Diese bewohnte eines der zwei Haeuser an diesem einsamen Strandabschnitt und verbrachte Ostern hauptsaechlich damit sich hemmungslos zu betrinken. Ich tat es ihnen nach, war aber nicht sehr begeistert von dem Vorhaben eines der Jugendlichen, sich in seinem mehr als angeheiterten Zustand ins Auto zu setzen und seinen 2 jaehrigen Sohn aus Puerto Limón abzuholen. "Keine Angst, mein Vater ist der Capitán der Verkehrspolizei". Ich hatte schon einen anderen Capitán kennengelernt und wusste ziemlich genau, was er meinte. Nachdem ich ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen konnte, setzte ich mich ins Auto, um seinen Fahrstil ein wenig unter Kontrolle zu halten und es folgte die furchtbarste Autofahrt meines Lebens.



Am letzten Urlaubstag kletterte ich auf einige Palmen, lud meinen Rucksack voller Kokosnuesse und verabschiedete mich. Auf dem Rueckweg nahm mich ein LKW Fahrer mit, der nicht aufhoeren konnte, ueber die Immigranten aus Kolumbien und Nicaragua zu meckern. Es war nicht das erste Mal, dass ich hier in Costa Rica, dem wohlhabensten Land Zentralamerikas, die von Voruteilen gespickten Anekdoten ueber die Mitbewohner aus den Nachbarlaendern anhoerte. Ich musste an Danni denken, dem lebendigen Beweis, dass diese Vorurteile falsch waren.


Als ich in San José ankam war Chris verschwunden. Ian, sein Kumpel aus Kanada, hatte ihn besucht und gemeinsam waren sie mit einem Umweg ueber Panama bereits auf dem Rueckweg nach Kanada.

Ich war zwei Monate mit Chris gereist und dieser Zeitabschnitt stellte die bislang intensivste Reiseerfahrung da. Ich musste zurueckdenken an Guatemala, wo wir einmal versuchten eine Kuh von unseren Rucksaecken zu vertreiben, sich die Kuh als Stier entpuppte und uns dieser von der Wiese vertrieb. Oder der Lastwagen voller Orangen, der so schnell ueber die ungeteerte Lansstrasse fuhr, dass wir uns mit den herumwirbelnden Orangen polstern mussten, um die Fahrt unversehrt zu ueberstehen und schliesslich zwei riesige, unbefestigte Autoreifen auf uns zugesprungen kamen. Chris und ich hatten alles geschehene stets in einem Dialog reflektiert, der meist in hoehere Philosophie abschweifte.


Ich zog nun wieder in meine Haengematte im Vorgarten, da Maria, eine weitere spanische Mitbewohnerin, nun wieder das Zimmer bewohnte.

In der Schule freundete ich mich schnell mit meinen Schuelern an, der Unterricht machte Spass und in einigen Gruppen sang ich mit den Schuelern Songs von den Red Hot Chili Peppers, Bob Marley und den Beatles.


Mit der Organisation der Schule haette manch einer wohl seine Probleme, doch mir war es inzwischen schon sympathisch geworden, dass Mario, der Direktor mir jeden zweiten Tag in letzter Minute eine Vertretungsstunde gab und dass die Administration meinen Zahltag oft 2 Wochen lanf aufschob. Bezahlt wurde ich entweder in Bargeld oder Checks.


Die Freizeit verbrachte ich mit meinen Mitbewohnern und einigen Freunden, wie etwa Giancarlos, mit dem ich mich jeden Sonntag traf, um die mexikanische Fernsehserie "Capadocia" zu sehen, die auf HBO ausgestrahlt wird und in der Oscar, mein Freund aus Mexico City, in einer Staffel eine der Hauptrollen spielt.
Mit Zivka, einer tollwuetig sympathischen deutschen Austauschstudentin, Pamela, Ifraim , Monje und vielen

San José ist keine Metropole, auf mich wirkte die Stadt wie ein uebergrosses Dorf. Viele der kolonialen Bauten wurden abgerissen und die haesslichen Neubauten sind jetzt voller Parolen, welche von dem Referendium zeugen, welches Costa Ricas Mitgliedschaft im neuen Freihandelsabkommen mit den USA und dem Rest Zentralamerikas bestimmte.
Die Angestellten befuerchten nun eine Privatisierung der grossen Staatskonzerne, der Patentschutz von Saatgut und die weitere Oeffnung fuer nordamerikanische Agrarprodukte laesst die Kleinbauern um ihre Existenz bangen.

13.05.2008
Am Samstag war mein letzter Arbeitstag, am gestrigen Abend bezahlte mir die Schule meinen letzten Lohn und entliess mich in die Freiheit.
Morgen frueh breche ich nach Panama auf und begebe mich auf die Suche nach einem Schiff, auf dem ich arbeiten und so nach Suedamerika gelangen kann. So beginnt ein neuer Abschnitt meiner Reise.

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